Renoirs Meisterstück ist ein Dokument des frühen Rudersports – und des Pariser Fin de siècle
Das Maison Fournaise in der Rue du Bac verströmt noch heute ein wenig von dem alten Zauber. Ganz still liegt das Wirtshaus am Ufer der Seine auf der „Ile des Impressionistes“, obgleich der Ort kaum zehn Kilometer flussabwärts vom turbulenten Zentrum Paris’ entfernt ist. Die längliche Insel, sandig und von einem schönen Auenwald gesäumt, war seit Mitte der 1860er-Jahre eine beliebte Station für Schiffsausflüge aus Paris geworden, erst recht, seit der Wirt Alphonse Fournaise sein Restaurant mit einem prächtigen schmiedeeisernen Balkon zum Fluss hin aufgewertet hatte. Seither trafen sich in den warmen Monaten hier nicht nur Pariser, die dem Trubel der Stadt für ein paar Stunden entfliehen wollten, sondern auch zunehmend mehr Männer, die den noch jungen Rudersport übten und am „Fournaise“ anlegten für eine Einkehr.
Vor allem aber zog das Idyll magnetisch eine Gruppe junger Künstler an. Hier, auf den schattigen Uferwegen, fanden sie Motive für ihre Malerei und im „Fournaise“ einen Ort, um sich zu erfrischen und über ihre Arbeit zu diskutierten.
Pierre-Auguste Renoir war besonders oft hier. Der junge Maler, 1841 in Limoges geboren, wo man es mit künstlerischem Talent nur zum Porzellanmaler bringen konnte, hatte früh seine Heimatstadt verlassen und unter anderen bei Gustave Courbet studiert, den er bei Spaziergängen im Wald begleitet und dessen Vorträge über das Malen in freier Natur er verinnerlicht hatte. Sie vor allem hatten ihn hierhin gebracht, wo er nun, als Maler in Paris, stand. Ganze Tage verbrachte er auf der Seineinsel bei Mal- und Zeichenstudien, meist mit seinen Malerfreunden Claude und Édouard Monet, Alfred Sisley und Pierre Bazille. Sie alle hatten sich den neuen Idealen ihrer Malerei (die erst 1872 mit einem Gemälde, das sein Schöpfer Claude Monet „Impression, soleil levant“ betitelt hatte, ihren Namen bekam) verpflichtet: weg vom akademischen Atelierbild hin zum frischen, am Leben und Modell orientierten Blick auf die Welt.
Nicht selten war auch Gustave Caillebotte dabei, der sich als Maler zu dem neuen Stil hingezogen fühlte, zugleich aber von einem Leben als Segler träumte, denn Segeln war seine zweite Passion. Caillebotte hatte auf Törns nach Le Havre an der Seinemündung, wo 1847 eine Handvoll Begeisterte den ersten französischen Ruderclub gegründet hatten, den neuen Sport kennengelernt. Seither war der Malersegler voller Begeisterung auch fürs Rudern und half, es seineaufwärts zu tragen, über Clubgründungen in Rouen und Saint-Denis bis nach Paris, wo das Rudern in den 1880er-Jahren endgültig zum chicen Sport der Arrivierten wurde.
Der ausgezeichnete Ruderer Caillebotte war es auch, der die Maler vom „Fournaise“ mit seinen Gefährten bekannt machte; und so versuchte sich auch Renoir – mäßig erfolgreich, wie es hieß – mit dem Rudern. Aber Renoir zog es ohnehin vor, seine neuen Freunde beim Rudern zu beobachten und zu zeichnen. Er liebte es, gesellschaftliche Ereignisse zu malen, Feiern, Partys, vor allem aber Bewegung und ausgelassene Lebensfreude in Bilder umzusetzen. Ihm kam die Begeisterung der Ruderer für ihr Tun nur recht. Und so malte er 1880, mit einigen Überarbeitungen im Frühjahr 1881, sein weltberühmtes Bild „Das Frühstück der Ruderer“, heute das Prachtstück der Phillips Collection in Washington, D.C.
Das 130 mal 173 Zentimeter große Ölbild ist ein Porträt einer Matinee auf dem Balkon des „Fournaise“ und nicht nur ein Hauptwerk Renoirs, sondern in seiner Malweise und Farbigkeit typisch für die Malerei des Impressionismus. Da ist zum einen der provisorisch wirkende Pinselstrich, das fehlende Finish, das die Arbeit von der klassischen Malerei der Zeit unterscheidet. Zum anderen ist das Sujet mit seiner Momentaufnahme aus dem Alltag programmatisch für die Kunst des Impressionismus. Darüber hinaus weist das Werk für Renoir typische Abweichungen von dem Stil aus: Das Gezeigte ist nur scheinbar die spontane Impression einer Alltagsszene – es ist im Gegenteil beinahe altmeisterlich und mit äußerster Sorgfalt komponiert.
Schon früh im 20. Jahrhundert, noch ehe der Sammler Duncan Phillips das Bild 1923 erworben hatte, gab es unter Kunsthistorikern eine Diskussion um die Personen auf dem Bild, die offenbar alle aus Renoirs Freundeskreis stammen. Diese Fragen sind, auch mithilfe des Sohnes Renoirs, inzwischen geklärt. Vorne links etwa Beispiel ist Aline Charigot, Renoirs spätere Frau, sitzend abgebildet. Die beiden Ruderer mit Strohhut sind zum einen Alphonse Fournaise, ans Geländer gelehnt, Juniorchef und Bootsvermieter, und Gustave Caillebotte. Der Herr im extravaganten hellen Jackett ist Adrien Maggiolo, ein italienischer Kunstkritiker und Journalist. Er beugt sich über Angèle Legault, ebenso wie die in der Bildmitte aus ihrem Glas trinkende Ellen Andrée eine erfolgreiche Pariser Schauspielerin. Hinten im Bild in Rückenansicht mit bürgerlichem Zylinder steht Charles Ephrussi, Kunstsammler und Herausgeber der damals führenden Kunstzeitschrift „Gazette des Beaux-Arts“. Auch die meisten anderen sind identifiziert.
Julius Meier-Graefe, der große Kunsthistoriker und Schriftsteller der Jahrhundertwende, kam über die Schilderung des Bildes nicht aus dem Schwärmen. „Eine Hymne an das Sommerleben an der Seine. Junge Leute in lichten Kleidern, die Männer zum Teil in armlosen Trikots, sind unter einer Markise nach soeben beendetem Mahl beisammen. Ein weiterer Akt aus dem Leben froher Jugend. Man glaubt die Scherze der Pärchen zu hören, fühlt den Niederschlag träger Zerfahrenheit nach den Freuden der Tafel, wenn sich die Stimmung in einzelne Zwiegespräche auflöst. … Die Kleine, die sich vorn am Tisch mit ihrem Toutou amüsiert und darüber alles andere vergisst, die gedankenlose Betrachtung ihres Gegenübers, die kecke Blague der anderen, der lose Witz, der eines der Dämchen im Hintergrund veranlasst, sich die Ohren zu verstopfen …“
Bemerkenswert am „Déjeuner des canotiers“ ist nicht zuletzt, dass es Menschen unterschiedlicher Schichten der Pariser Gesellschaft zeigt. Es ist höchst wahrscheinlich, dass die Personen tatsächlich gemeinsam ein Rudererfrühstück genossen und dabei Renoir Modell standen. Sie waren in den Zirkeln der Pariser Kulturszene miteinander gut bekannt. Kunsthistorisch gesichert ist dieser Umstand allerdings nicht. Womöglich weht durch die Darstellung einer Alltagsszene also auch Renoirs Utopie einer idealen Gesellschaft. So kann das „Frühstück der Ruderer“ auch als Kritik der in Selbstgefälligkeit erstarrten Ständegesellschaft des späten 19. Jahrhunderts gesehen werden.
Von Karl Spurzem
Der Autor ist gelernter Kunsthistoriker und musste beim Schreiben eine alte Antipathie gegen Renoir überwinden. Es ist ihm gelungen. Immerhin hat die Beschäftigung mit dem Gemälde seinen Wunsch geweckt, im nächsten Sommer wieder einmal frühmorgens zu rudern und anschließend im Club zu frühstücken. Vielleicht wird er dann seine geerbte Kreissäge auf dem Kopf tragen.
Der Beitrag erschien in der Galeere Dezember 2017.
Titelbild: Renoirs Bild “Frühstück der Ruderer” an historischer Stelle vor dem Maison Fournaise. Bild: Tibet/Wikimedia