Der Rudersport und die Club-Geschichte
„Gentlemen, wir wollen rudern!“
Wie der Rudersport nach Hamburg kam
Rudern ist die wichtigste Fortbewegungsart auf dem Wasser – neben Segeln. Rudern ist uralt. Galeerensklaven entschieden Kriege, Fährleute ernährten Familien.
Das neuzeitliche Rudern beginnt auf der Themse. Die lizensierten „Watermen“ befördern im brückenarmen London des 17. Jahrhunderts nicht nur Personen und Waren über den Fluss, sondern rudern auch gegeneinander um den Sieg. Und die feinen Gentlemen wetten darauf. Wettfahrten also. Warum aber diese tolle Leibesübung nicht selbst ausüben, das fragen sich junge Studenten in Oxford und gründen 1815 den Brasenose College Boat Club. Noch im selben Jahr starten sie gegen den Jesus Boat Club Oxford zum ersten „Head of the River“ und siegen. Da treten Amateure gegeneinander an, nicht Männer, die Rudern zu ihrem Broterwerb gemacht haben. Nach dieser ersten „Amateur-Regatta“ findet dieser Sport in England immer mehr Anhänger: Der älteste nicht-studentische Ruderverein Leander wird 1818 am Tideway, dem gezeitenabhängigen Teil der Themse, gegründet.
1829 startet das erste „Boat Race“ zwischen Christ Church Oxford und St. Johns Cambridge. Schließlich beginnt am 14. Juni 1839 auf der Themse die Henley-Regatta-Tradition mit dem Grand Challenge Cup für Achtermannschaften. First Trinity Boat Club aus Cambridge gewinnt. Der Fluss ist ein Eldorado für den jungen Sport.
Wie aber kam dieser Sport nach Hamburg?
Zwei Männer schottischer Abkunft sind die Geburtshelfer: William Campbell und Edgar Daniel Roß. Über Campbell wissen wir wenig, von Roß umso mehr. Beide sind Angehörige der großen britischen Community in Hamburg. Die war zunächst durch Napoleons Kontinentalsperre, nach der nicht nur der Handel mit Großbritannien verboten wurde, sondern auch britische Staatsangehörige festgenommen und als Kriegsgefangene behandelt werden sollten, sehr geschrumpft. Nach der französischen Niederlage und dem Abzug der Franzosen aus Hamburg erholt sich hier der Übersee-Handel schnell. Und die Briten sind wieder da. So ist es nicht verwunderlich, dass das Rudern auf dem Kontinent in Hamburg beginnt.
1816 kommt der Schotte Campbell von London nach Hamburg. Dort hat er das Rudervergnügen kennengelernt und in seiner Freizeit häufig selbst gerudert. Bereits am 30. August erwirbt er das Hamburger Bürgerrecht. Um als Ausländer Handel größerer Art auszuüben – nicht für den Handel der „kleinen Krämer“ – muss man den Hamburger Bürgereid ablegen, bis 1845 auf Niederdeutsch. Mit dem Bürgerrecht ist die Zahlung des Bürgergeldes verbunden. Heute nennt man das Steuer. Campbell ist Optiker und verkauft zunächst englische nautische Instrumente und Navigationsbücher, anfänglich am Vorsetzen, später am Neuen Wall. Das erfolgreiche Brillengeschäft, längst geführt von anderen Inhabern, gibt es unter seinem Namen noch heute. 1836 bezieht er sein neues Landhaus an der Rothenbaumchaussee. Die Außenalster vor der Tür, erinnert er sich jetzt seiner Rudervergnügen auf der Themse. So etwas müsste doch auch hier gehen. Und er gewinnt Freunde für diesen Sport. Am 12. November 1849 jedoch gibt er sein Bürgerrecht wieder zurück und verlässt die Stadt.
Edgar Daniel Roß wird 1807 in London geboren. Er entstammt einer alten schottischen Familie, deren einer Zweig früh in Hamburg ansässig wurde. Sein Großvater Colin Ross (1736 – 1793) wird hier zu einem angesehenen Arzt. Vater Daniel geht zunächst als Kaufmann wieder nach London, kehrt jedoch nach einigen Jahren mit seiner Familie nach Hamburg zurück. Hier gründet er die Firma „Roß, Vidal & Co.“, bekannt für ihren Überseehandel mit Australien. 1823 steigt Edgar Daniel in dieses Geschäft ein. Als Abgeordneter vertritt er außerdem mit seinen Freunden Moritz Heckscher und Ernst Merck vom Hamburger Ruder Club 1848/49 die Hansestadt bei der Frankfurter Nationalversammlung. Er wird Mitglied der neugeschaffenen Hamburger Bürgerschaft und Präsident der Handelskammer. Ein sehr engagierter und hoch geachteter Bürger Hamburgs also. In seiner Jugendzeit in London hat er die Ruderer auf der Themse bewundert und sich vielleicht darin schon geübt. Seine Enkel Edgar und Colin treten 1897 in den Germania Ruder Club ein.
Irgendwann kreuzen sich die Wege von Campbell und Roß. Anfang 1836 gründen sie gemeinsam mit zwölf weiteren Männern aus der britischen Gemeinde den Union Boat Club. In den späteren Regattaprogrammen wird er als English Rowing Club bezeichnet und hat bis zu 25 Mitglieder. Er wird jedoch nur bis 1849 bestehen. Der Hamburger Ruder Club verzeichnet im Vergleich 1850 nur 18 Mitglieder.
Im Union Boat Club wird Roß zum „Kapitän“ gewählt. Die treibende Kraft ist Campbell. Auf seine Rechnung lässt er sich eine Sechser-Gig aus London schicken, die viel leichter als deutsche Boote ist. Das Boot wird an Ohlmeyers Steg am Jungfernstieg gelegt. Von hier aus rudern die Mitglieder unter Anleitung von Campbell auf die Alster, die britische Flagge am Heck. Über die Binnenalster schallen jetzt ungewohnte englische Kommandos. Später kauft Campbell noch vier vierrudrige Wherries aus England, die er an Ohlmeyers Steg zum Vermieten anbietet.
Der dritte Geburtshelfer ist ein Hamburger: der junge Johann Caesar Godeffroy (1813 – 1885). Auch er hat in seiner Volontärzeit in London die Themse-Ruderei kennengelernt. Gemeinsam mit einigen Freunden spricht er den Kapitän des kurz zuvor gegründeten Union Boat Club auf eventuelle gemeinsame Ausfahrten an. Roß ist erfreut und sagt die Beschaffung einer Sechser-Gig „second hand“ aus London zu.
Elf Freunde treffen sich Anfang Juni 1836 im Godeffroy’schen Landhaus an der Elbchaussee. Johann Caesar ergreift das Wort: „Gentlemen, wir wollen rudern! Natürlich im Sportboot und in Uniform wie die Engländer.“ Die Freunde unterschreiben begeistert: „Unterzeichnete vereinigen sich zu einem Ruder-Clupp; die Souscription ist auf 4 Louisd’or gesetzt, und müßten die näheren Bedingungen wegen Boot, Kleidung, Name des Clubs etc. in einer nächstens zu haltenden Versammlung bestimmt werden.“ 36 Louisd’ors liegen sofort auf dem Tisch. Bereits am 25. Juni 1836 trifft die zugesagte Sechser-Gig mit dem Postschiff aus London ein und wird an Ohlmeyers Steg neben das englische Boot gelegt. Jetzt beginnt auch für die Hamburger und erstmals in Deutschland die Sport-Ruderei.
Am 18. Juli 1836 wird dieses erste Clubboot auf den Namen „Victoria“ getauft. Es ist ein geklinkerter Inrigger mit versetzten Ruderplätzen und Kastendollen. Bei Hamburger Schietwetter geht es zur Jungfernfahrt auf die Binnenalster, die Hamburger Flagge am Heck. Die Mannschaft in der beschlossenen Uniform: Rot-weiß gestreifte Hemden, schwarze Halsbinden, weiße Hosen, blaue Tuchmützen mit rot-weiß gewürfelten, flatternden Bändern. Daneben das Boot des Union Boat Clubs, geschmückt mit dem Union Jack. Der Regen wird stärker, gemeinsam kehrt man an der Lombardsbrücke um. Nachdem die nasse Ruderkleidung gewechselt wurde, geben die Briten im Hotel „Alte Stadt London“ den Hamburgern ein Festessen. Roß hält eine Rede und endet: „Dass der Hamburger Ruder Club noch viele Jahre bestehen und sich immer verjüngen möge! Hipp, Hipp, Hipp Hurra!“.
Welch Glück, der Wunsch hat sich erfüllt!
Erik Diemke
Der Text ist in der Galeere 4/2023 erschienen.
Titelbild: Die Gründer des Hamburger Ruder Clubs mit ihrem ersten Boot „Victoria“ am Harvesterhuder Ufer, 1841. In der Bildmitte steht Edgar Roß, er trägt die hohe Ballonmütze des Union Boat Club.
Die Geschichte des Clubs im Überblick
1836
Die Gründung
Der Hamburger Ruder Club (DHRC) wird im Juni 1836 von elf jungen Hamburger Kaufleuten gegründet. Man ist freundschaftlich mit dem Union Boat Club (UBC) der englischen Geschäftsleute verbunden.
1844
Erste Regatta
Am 22. September veranstalten Mitglieder des DHRC und des UBC auf der Außenalster die erste Ruderregatta in Deutschland. Es wird ein Dreieck von 14.000 Fuß (4.012 Metern) gerudert, Start und Ziel ist das Uhlenhorster Fährhaus. Unter dem großen Jubel vieler Zuschauer siegt das Boot des DHRC. Anschließend gründen die Mitglieder den Allgemeinen Alsterclub (AAC).
1850
Ruderdress
Die Ruderer des Hamburger Ruder Clubs zeigen Stil: Sie trainieren im einheitlichen Dress aus weißen Hosen, gestreiften Hemden und gebundenem Halstuch.
1853
Germania Ruder Club
Am 13. April 1853 gründen acht junge Leute im Alter von 16 bis 18 Jahren den Germania Ruder Club. Der 18jährige Carl Hermann Wentzel wird erster Präsident. Als einheitlichen Ruderanzug wird eine blaue Jacke mit Clubabzeichen mit langer weißer Hose und weißem Hemd getragen, ein schwarzes Halstuch und eine rote Schärpe mit weißen Fransen, außerdem ein schwarz-weiß gestreifter Strohhut mit schwarzem Band.
1864
Im Outrigger-Boot auf der Alster
Der GRC holt das erste Outrigger-Boot auf die Alster. Der in London gebaute Riemenvierer „Sirene“ hat noch keine Drehdollen und Rollsitze.
1867
Erster internationaler Wettbewerb
Eine Mannschaft des GRC startet zum ersten Mal im Ausland, in der französischen Hauptstadt Paris. In einem internationalen Feld von sieben Booten wird sie Vierte.
1868
Norddeutscher Regatta Verein
Der Germania Ruder Club, Favorite und Alemannia gründen den Norddeutschen Regatta Verein (NRV), um gemeinsam hochrangige Regatten auf der Alster zu veranstalten. GRC-Gründungsmitglied Carl Hermann Wentzel ist bis 1885 der 1. Vorsitzende.
1874
Innovation im Boot: Gleitsitze
Das Rudern wird sportlicher: Der Germania Ruder Club führt in seinen Booten auf der Alster Gleitsitze ein, sie sind Vorläufer der heute gebräuchlichen Rollsitze.
1883
Deutscher Ruderverband
Der Hamburger Ruder Club (DHRC) und der Germania Ruder Club (GRC) sind Gründungsmitglieder des Deutschen Ruderverbandes (DRV). 1. Vorsitzender bis 1891 wird Adolf Burmester (GRC).
1895
Senatsachter
Eine Mannschaft des Germania Ruder Clubs gewinnt im Senatsachter. Diese Alster-Regatta gilt als inoffizielle Deutschen Meisterschaft.
1902
Das erste Bootshaus am Alsterufer
Der Hamburger Ruder Club baut am Alsterufer ein hölzernes Bootshaus. Es wird 1923 durch einen Neubau auf hölzernen Gründungspfählen ersetzt. Während des Zweiten Weltkrieges bleibt es als einziges Bootshaus in Hamburg unbeschädigt. Nach der Beschlagnahme durch die englische Besatzungsmacht wird es 1952 wieder geliebte Heimat der Clubfamilie.
1911
Prämierte Wanderfahrt
Eine Mannschaft des DHRC erringt den DRV-Preis für eine Wanderfahrt auf der Elbe von Leitmeritz (Böhmen) nach Hamburg – es wurden 690 Kilometer gerudert.
1921
Deutsche Meister im Riemenzweier
Julius Warnholtz und Walter Schilmann, beide Mitglied im DHRC, werden Deutsche Meister im Riemenzweier (ohne Steuermann).
1936
Düstere Zeiten
Am 19. April 1936, dem „Tag des Rudersports“, wird das 100. Jubiläum des Clubs gefeiert. Die Terrasse des Clubhauses ist mit Hakenkreuzfahnen und Girlanden geschmückt. Die Mitglieder der „Jung-Germania“ erscheinen nicht in der vorgeschriebenen HJ-Uniform, sondern im traditionellen Clubdress. Als von ihnen verlangt wird, das „Führer-Prinzip“ einzuführen und einen „halbjüdischen“ Kameraden auszuschließen, lösen sie sich aus Protest am 29. Dezember selbst auf.
1934
Der Hamburger und Germania Ruder Club
Nach einer Phase des Mitgliederschwunds tritt der Germania Ruder Club geschlossen in den Hamburger Ruder Club ein – es entsteht der Hamburger und Germania Ruder Club.
1966
Erfolgreicher Achter
Weltmeister in Bled, 1967 Europameister in Vichy, 1968 Olympia-Sieger in Mexiko: In diesem Adam-Achter rudern unsere Mitglieder Horst Meyer als Schlagmann und Dirk Schreyer. Auch unser Mitglied Uli Luhn ist 1966 und 1967 im Boot dabei und Ersatzmann bei den Olympischen Spielen.
1984
Olympische Spiele
Peter Saborowski ist bei den Olympischen Spielen in Los Angeles als Ersatzruderer der deutschen Nationalmannschaft nominiert (ohne Einsatz). Im gleichen Jahr gewinnt er im Einer die Deutsche Vizemeisterschaft in Ratzeburg.
1986
150. Jubiläum
Der Club feiert seinen 150. Geburtstag und gibt den Band „150 Jahre Rudern in Deutschland. Der Hamburger und Germania Ruder Club“ heraus. Es werden u.a. Trainerpersönlichkeiten porträtiert sowie wichtige Starts, Siege und Meisterschaften aufgelistet. Redaktion: Erik Diemke und Dirk Schreyer
In diesem Jahr gewinnen Club-Mitglieder bei der Deutschen Meisterschaft zweimal Gold, außerdem Siber und Bronze.
2016
Erfolg
Der Club feiert sein bis dahin erfolgreichstes Wettkampfjahr. Bei nationalen und internationalen Regatten gewinnen die Club-Ruderer 133 Mal.
2011
175. Jubiläum
Der Club feiert sein 175. Jubiläum und gibt den Band „Der Hamburger und Germania Ruder Club 1836 – 2011“ heraus. Verzeichnet sind die Wettkampf-Erfolge des Clubs der Jahre 1986 – 2010. Konzeption und Redaktion des Bandes: Michael Seufert