Die Optimierung des Schlags beschäftigt Ruderer seit der Antike

Von Peter Sandmeyer

Jeder Ruderer weiß, warum sein Boot Fahrt voraus macht: Mit dem Ruderschlag wird Wasser nach hinten gedrückt und das Boot als Gegenreaktion nach vorn beschleunigt. Einen wesentlichen Teil dieses Vortriebs erbringen die Beine, indem sie sich gegen das im Boot befestigte Stemmbrett strecken. Fehlt diese Streckmöglichkeit, weil der Ruderer auf einer starren Ruderbank sitzt, so fehlt dem Boot ein wichtiger Teil seiner potentiellen Antriebskraft. Ein fester Sitz erzwingt einen kurzen Schlag. Es ist deshalb kein Wunder, dass sich schon die Marinestrategen und Bootskonstrukteure im antiken Griechenland darüber Gedanken machten, wie sie die Power ihrer von Muskelkraft angetriebenen Kriegsschiffe verbessern könnten.

Die Seestreitkraft hatte in der klassischen Zeit des Delisch-Attischen Seebundes um 500 v. Chr. eine enorme militärische und politische Bedeutung. Athen verfügte über eine Flotte von fast 500 Trieren, die jeweils von 170 Männern auf drei Ruderdecks übereinander angetrieben wurden. Das forderte hohe Präzision. Die Riemen mussten auf 30 Zentimeter genau geführt werden, damit sie sich nicht verhakten und verhedderten und das Schiff plötzlich antriebs- und hilflos wurde. Deswegen waren es auch keine Sklaven, die auf den Ruderbänken saßen, sondern gut trainierte Spezialisten, die sich der Stadtstaat etwas kosten ließ. Athen finanzierte zeitweilig 12 000 Ruderer für acht Monate Training und Einsatz pro Jahr.

Trireme

Modell einer griechischen Triere aus dem Deutschen Museum, München

Die bevorzugte Angriffstechnik der Trieren, die für den Kampf Mast und Segel im Hafen ließen, war der Stoß mit dem schweren, bronzebeschlagenen Rammsporn, der vor dem Bug angebracht war. Traf er Breitseite oder Heck des gegnerischen Schiffes, war dieses manövrier- und kampfunfähig. Diese Kampftechnik setzte aber Wendigkeit und schnelle Beschleunigung des eigenen Schiffes voraus – also einen gut synchronisierten, kraftvollen Ruderschlag.

Bei der Untersuchung der Frage, wie der Schlag optimiert wurde, stieß der amerikanische Archäologe und Marineforscher John R. Hale auf ein interessantes Detail. Es heißt in manchen antiken Quellen Hyperesion, wörtlich „unter dem Ruderer“, und wird in anderen auch als Fell, Leder, Polster oder Kissen bezeichnet. Sicher ist, dass es zur Pflichtausrüstung jedes Ruderers gehörte, wenn er an Bord ging – und gewiss nicht deswegen, weil die Admiralität um die Empfindlichkeit seines Allerwertesten besorgt war. Viele Indizien, unter anderem die Ruderanweisung „Streck dein Bein“, brachten Hale zu der Schlussfolgerung, dass diese Sitzunterlagen eingefettet wurden und dann den Ruderern ermöglichten, auf ihren Bänken vorwärts und rückwärts zu rutschen und die Kraft ihrer Beine für einen langen, kraftvollen Gleitschlag zu nutzen.

Mit ihm ließen sich auch so überraschende Wenden fahren, wie sie von dem Flottenführer Phormio aus dem Peloponnesischen Krieg überliefert sind. Sein Flaggschiff „Paralos“ wurde von einer spartanischen Triere auf einen Hafen zu getrieben und konnte nicht wenden, ohne die Breitseite dem gegnerischen Rammsporn auszusetzen. Zufällig lag ein Handelsschiff vor dem Hafen vor Anker. Als die „Paralos“ auf gleicher Höhe war, nutzten es die Athener als Schutzschild und wendeten nicht nur um 180, sondern sogar um 270 Grad. Timokrates blieb keine Zeit für Ausweichmanöver, und seine Triere wurde mittschiffs gerammt.

Sitze

Ruderbänke einer rekonstruierten römischen Galeere

Möglicherweise haben die Rutschpolster sogar zum Ausgang der berühmten Seeschlacht bei Salamis beigetragen, in der eine griechische Flotte von knapp 300 Trieren einen persischen Verband besiegte, der um das zwei- bis Vierfache stärker war – aber keine Glitschkissen und keinen Gleitschlag kannte. Die Historiker sind sich jedenfalls darin einig, dass die griechischen Schiffe deutlich schneller und wendiger waren als die persischen.

Vermutlich verlor die erste Entdeckung des Gleitschlags der Geschichte später an Bedeutung, weil nach der Erfindung transportabler Katapulte die Rammtechnik ihre militärische Bedeutung verlor und Kriegsschiffe sich zu schwimmenden Plattformen für Marineinfanteristen verwandelten. Erst um 1850 wurde die antike Gleittechnik als moderne Optimierungsmethode für Ruderwettkämpfe wiederentdeckt. In England, Amerika und Kanada experimentierten Rennruderer mit einem Polster aus Waschleder, einem sehr weichen und geschmeidigen Material, das am Hosenboden angenäht und eingefettet wurde. Damit konnte der Ruderer auf der Ducht, dem flachen Brett, das ihm als Sitzfläche diente, vor und zurück gleiten. Das verlängerte seinen Schlag, indem Arm- und Rückenbewegungen durch den kraftvollen Stoß der Beinmuskeln ergänzt wurden.

Der Rollsitz hält Einzug – Eine zunächst schmierige Revolution

Babcocks "Sliding Seat"

Babcocks “Sliding Seat” aus dem Jahre 1869 (Wikimedia Commons)

Das „Annual Illustrated Catalogue and Oarsmen’s Manual“ von George T. Balch beschrieb diese Neuerung 1871 so: „Der Sitz besteht aus der dünnen Planke eines harten, feinmaserigen Holzes, meist Kirsche. Die Maserung verläuft in Längsrichtung des Bootes, und die Oberfläche ist glattpoliert. Um die Reibung noch mehr zu verringern, werden sowohl diese Fläche als auch die Pantalons des Ruderers, die mit Waschleder verstärkt sein sollten, mit Schmiere gleitfähig gemacht.“ Balch sprach von der Wildleder-und-Butter-Strategie („buckskin and butter plan“). Dass mit ihrer Anwendung nicht nur Siege, sondern auch Schmerzen verbunden sein konnten, belegt sein Ausrüstungskatalog: Er enthielt Anzeigen für Heilsalben zur Behandlung von Schürfwunden und Blasen.

Das Rutschen brachte nicht nur mehr Geschwindigkeit auf gerader Strecke, sondern war eben auch eine enorme Verbesserung bei der Wende. Bei Wettrennen im 19. Jahrhundert war meist die Start- zugleich die Ziellinie; es galt also, einen im Wasser verankerten Pfahl zu umrunden und auf demselben Kurs zurückzufahren. Ein längerer Schlag an der Außenseite der Kurve vermochte das Boot rasch um den Wendepunkt zu ziehen. Der Gleitschlag nach Balchs Wildleder-und-Butter-Methode eignete sich dafür am besten.

Im Lauf der Zeit ersetzte man das eingefettete Kissen durch mechanische Mittel, um die Gleitbewegung noch länger und leichter zu machen: Der Sitz wurde auf Räder montiert und in hölzerne Schienen gestellt. 1871 kam der erste Rollsitz in England zum Einsatz, drei Jahre später rollte der erste Ruderer auf der Alster. Heute ist der Rollsitz nicht nur bei Rennen, sondern in allen Sportruderbooten Standard.

Der Artikel von Peter Sandmeyer erschien erstmals im Spektrum der Wissenschaft, 9/1996 und in der Galeere Dezember 2017.

Titelbild: Rollsitz und Stemmbrett des Holz-Einers Spitaler Tor. Der klassische Renn-Einer ist im Windfang unseres Bootshauses ausgestellt. Das schöne Holzboot gelangte über Sven Tuchel zum Club. Die Restaurierung für Ausstellungszwecke wurde von Benno Nolkemper und weiteren Helfern liebevoll während der Corona-Schließung im Frühjahr 2020 zu Ende gebracht. Das Boot ist gut sichtbar vom Gehweg im rechten Windfang des Eingangs angebracht und noch ein wenig provisorisch beleuchtet. Die Aufarbeitung dieses Holzbootes ist eine der vielen Geschichten aus der Corona-Zeit, die wir bisher nur angerissen haben. Hier ein paar Bilder aus der fotografischen Begleitung des Projekts: