„Das hier könnte doch was für Dich sein“, schmunzelte Peter Lougear, als er mich auf ein besonderes Ruderabenteuer aufmerksam machte. Im Ruderklub am Wannsee (RaW) wurde zur „Rudertour rund um Berlin“ aufgerufen, einer dreitägigen Wanderfahrt entlang der äußersten Wasserwege der Hauptstadt. Kaum eine andere Stadt bietet eine solche Dichte an Ruderhistorie wie Berlin. Traditionsreiche Vereine aus West und Ost mit einer lebendigen Vereinskultur, die sich nach dem Mauerfall allmählich wieder zu einem gemeinsamen Landesverband zusammenfanden, verbunden durch Flüsse, Kanäle und Stadtgewässer, die sich ständig wandeln und der Fahrt fortwährend ein neues Gesicht geben.

Die Tour, organisiert von Anna Moschick vom RaW, fand im August 2025 bereits in ihrer 17. Auflage statt – ein Meisterstück logistischer Planung und zugleich ein Liebesdienst an der Berliner Rudertradition.

Als Auswärtiger war ich bereits am Vorabend angereist und hatte ein Gästezimmer mit spektakulärem Wannseeblick unter dem Dach des RaW bezogen. Das große Bootshaus im Landhausstil, das 1906 am südlichen Wannseeufer inmitten einer Villenkolonie im Bezirk Zehlendorf errichtet wurde, spiegelt die besondere Bedeutung des Rudersports im wilhelminischen Kaiserreich wider: große Fenster, hölzerne Paneele, ein Festsaal mit Patina und Geschichte. Trotz vieler Umbauten ist sein Charakter erhalten geblieben. Am Abend schaffte ich es gerade noch rechtzeitig zum Rudertraining – eine kurze Tour entlang der prächtigen Bootshäuser am Wannsee und nach Babelsberg – und landete schließlich in der kleinen, gemütlichen Bar des Vereins.

 

Erster Tag – von West nach Ost

Am nächsten Morgen verpackten wir unsere Sachen für die nächsten Tage in zwei gesteuerte Gigdoppelvierer und brachen bei schönstem Sommerwetter auf. Die Havel trug uns nordwärts. Hinter Spandau änderte sich das Stadtbild: Industrie, Schifffahrt, Betriebsamkeit. Auf der Spree arbeiteten wir uns bis Charlottenburg vor, machten Rast am Spreebogen und bogen dann in den Landwehrkanal ein.

Unsere beiden Vierer glitten entlang der grünen Ader durch die Metropole, während wir uns an Bord mit einem Mix aus stadthistorischen Informationen und persönlichen Anekdoten unterhielten. Nach Durchfahrt der City öffnete sich der Kanal beim Urbanhafen zum Park, ein pittoreskes Bild von Kreuzberg im Sommer. Durch die Oberschleuse erreichten wir wieder die Spree im Stadtteil Friedrichshain.

Der Blick des Ruderers geht spreeabwärts durch die Oberbaumbrücke Richtung Stadtmitte – verbotenes Terrain für Ruderboote. Uns zog es weiter Richtung Treptow, und mit dem Wechsel vom Westteil in den Osten änderte die Stadt auch sofort wieder ihren Charakter: Während am Nordufer eine ehemalige Industriefläche inzwischen fast vollständig von Wohnanlagen verdrängt worden ist und von fortschreitender Gentrifizierung kündet, vermittelt das Südufer mit dem Treptower Park und der Jugendinsel eher behagliche Idylle. Das gleiche Gefühl hatten wir auch, als wir gleich darauf am Steg der Treptower Rudergemeinschaft anlegten und die Besucherzimmer im romantischen Bootshaus für die Nacht bezogen. Das aus dem Jahr 1914 stammende Kleinod mit seiner Veranda, dem Balkon und den dahinterliegenden kleinen Fenstern ist eines der letzten historischen Bootshäuser nahe der Stadtmitte. Nach dem Krieg lange von Betriebssportgruppen genutzt, ist es seit 1991 Heim der Treptower Rudergemeinschaft, dem zentrumsnahesten Ruderverein Berlins. Wir verbrachten den Abend im Stadtviertel und lernten dabei auch gleich den von Anna organisierten Landdienst kennen.

 

Zweiter Tag – der Müggelsee ruft

Nach ausgiebigem Frühstück fuhren wir am nächsten Morgen spreeaufwärts Richtung Köpenick und dort in die Müggelspree. War uns das Wetter bislang gewogen, mussten wir uns nun mit dem böigen Wind auseinandersetzen. Während unseres Stopps beim Ruderclub Ägir erkundigten wir uns bei den Einheimischen nach der Wetterlage. Der Müggelsee ist als größte Wasserfläche Berlins berüchtigt. Man warnte uns vor: „Auf dem See steht bei Westwind ab Seemitte eine ordentliche Welle.“ Unsere auf dem Wannsee abgehärteten Abenteuerinnen beschlossen, die gutgemeinte Mahnung in den Wind zu schlagen und weiter auf den Müggelsee vorzudringen. Bewunderten wir in Friedrichshagen noch die schöne Seepromenade, so türmten sich ab Seemitte die Wellen auf und klatschten allmählich bedrohlich häufig über die Bordwand. Als wir am Ostufer das windgeschützte Rahnsdorf anliefen, waren wir erschöpft und entsprechend erleichtert.

Während der Pause beim Ruder-Club Rahnsdorf leerten wir nicht nur die vollgelaufenen Boote aus, wir merkten auch, dass wir wieder in der Berliner Peripherie angekommen waren. Das ehemalige kleine Fischerdorf mit seinen Kanälen, Gärten und Holzstegen verströmt einen märchenhaften Charme. Doch über den Baumwipfeln zogen bereits dunkle Wolken auf. Wir legten am Dämeritzsee in einem Gartencafé an, gerade rechtzeitig, um den ersten Regenschauer unter einem Sonnenschirm mit Kaffee und Torte abzuwettern.

Wir ruderten bei gelegentlichen Regenschauern weiter durch stille, grüne Gewässer entlang der Berliner Stadtgrenze, fast unmerklich wechselten wir nach Brandenburg hinüber. Am Krossinsee war das Wasser spiegelglatt – wir hielten an, zogen die Boote ans Ufer und sprangen hinein. Das kühle Bad, das Lachen, das leise Knarren der Boote – einer jener Momente, die sich im Gedächtnis festsetzen, ohne dass man es merkt.

Unsere Pause ganz unten im Südosten Berlins markierte gleichzeitig die Halbzeit unserer Wanderfahrt. Jetzt ging es wieder Richtung Zivilisation. Wir stoppten hinter dem Zeuthener See zur letzten Tagespause am Steg des ESV Schmöckwitz.

Ab Schmöckwitz geht es in der Abendsonne die Dahme-Spree hoch, das Ufer wird hier bis Grünau gesäumt von Ruderclubs, fast jedes Grundstück ein Bootshaus, jede Fassade anders, jede mit Geschichte. Wir passierten Richtershorn, wo unsere Hausregatta, das Hamburger Staffelrudern, während des Bootshaus-Umbaus drei Jahre Unterschlupf fand, und gelangten auf die Olympia-Regattastrecke.

 

Dritter Tag – zurück ins Herz der Geschichte

Unser Tagesziel war der Ruderverein Turbine Grünau. Hier, nahe der Zieltribüne der Regattastrecke, die 1897 gegründet wurde, stehen gleich zwei imposante Baudenkmäler Seite an Seite und bilden die Wiege des Berliner Regattasports: das 1903 entstandene Bootshaus des Akademischen Rudervereins, das älteste in Grünau, sowie der drei Jahre später errichtete Bau von Sport-Borussia. Dem Bootshaus des ARV, in dem wir übernachteten, merkt man mit seiner repräsentativen Architektur immer noch an, dass damals der Wassersport vor allem ein Vergnügen der gesellschaftlichen Elite war. Die Regattastrecke zog Menschen aus nah und fern an, 1906 wurden hier die ersten Deutschen Meisterschaften in der heute üblichen Form abgehalten, und der Kaiser schaute von Bord seiner Yacht dabei zu. Anlässlich der Olympischen Spiele 1936 wurde der offene Balkon des ARV Bootshauses mit Glasfenstern zur Unterbringung von Funktionären und Würdenträgern wetterfest verkleidet. Wir nutzten den geschichtsträchtigen Raum, um beim Frühstück unseren Blick noch einmal ungehindert über die im Morgenlicht glitzernde Spree schweifen zu lassen.

Der letzte Tag unserer Wanderfahrt war der Rückfahrt entlang der Südgrenze Berlins vorbehalten, was nach den spannenden Erlebnissen der beiden Vortage über den monotonen Teltowkanal erfolgte. Auf der berühmt-berüchtigten Strecke zwischen Wiking und der Schleuse Kleinmachnow hatten wir allerdings ausgezeichnetes Sommerwetter. Sobald man dann in die vertrauten, kleinen Seen und Kanäle Richtung Wannsee einbiegt, säumen die Bootshäuser der Westberliner Ruderclubs das Ufer.

Trotz der kurzen Strecke von „nur“ 122 Kilometern bietet die Wanderfahrt eine überwältigende Vielzahl an Eindrücken und ist damit mehr als eine sportliche Unternehmung. Sie führt durch Industrie und Idylle, durch enge Kanäle und weite Seen, vorbei an historischen Orten. Mit der von Anna Moschick so geschickt organisierten Übernachtung in gleich drei historischen Bootshäusern und der exzellenten Versorgung braucht man als Fahrtteilnehmer kaum zu planen, sondern man kann ganz die einmalige Atmosphäre genießen. Wer die Tour selbst erleben will, kann die Organisatorin über die RaW-Mitglieder im Club kontaktieren. Oder man lässt sich einfach in der Club-Bar nieder und schmökert in dem dort ausliegenden Buch „Historische Bootshäuser“, um darin alle drei Häuser mit ihren spannenden Geschichten wiederzufinden.